Freitag, 31. Dezember 2010

Sizilianische Liebe

Sizilianische Liebe

Viele Weg führen nach Rom und andere nach Sizilien. Ich war hingegen so pleite, keiner meiner Wege würde noch in weite Ferne führen. Ich sah an einem Freitagnachmittag zu meinem Küchenfenster hinaus, der Regen klatschte gegen die Scheibe. Das hob nun überhaupt nicht meine Laune. Es stand mir eine Menge Ärger bevor. Ich hatte nämlich für die letzten beiden Monate keinen Unterhalt mehr gezahlt. Das lag nicht allein an mir, mein Verleger hatte Insolvenz angemeldet. So saß ich eben auf dem Trockenen, ich schrieb zwar für einige Zeitschriften, doch erstens gab es dafür nicht das große Geld und zweitens hieß es auch hier Geduld mitbringen. Ich beschloss, mein letztes Bargeld in die Pizzeria meines Freundes Riccardo zu tragen.

Im strömenden Regen führte der Weg hinüber zur Pizzeria. Riccardo blickte kurz auf, als ich den Raum betrat, und lachte mich an. Seine Frau Sofia packte mich hingegen gleich am Arm und zog mich zu einem der Tische. An dem Tisch saß ein älterer, freundlicher Herr und lächelte mich an. „Sie also sind der Schriftsteller, Alex Blau. Nehmen Sie bitte Platz. Ich möchte mit ihnen sprechen. Mein Name ist Francesco Santini. Ich bin der Vater von Riccardo und komme aus Sizilien wegen eines persönlichen Anliegens.“ Ich setzte mich zu ihm an den Tisch. Was wollte er wohl von mir? Herr Santini stellte ein Glas vor mir ab und füllte es mit Rotwein. „Sehen Sie, ich, bin ein einflussreicher Mann und ich möchte meine Memoiren schreiben. Ich benötige hierfür allerdings einen Schreiber, der sowohl flüssig im Stil wie auch unterhaltsam schreibt. Ich dachte an Sie.“ Er erhob sein Rotweinglas und prostete mir zu. Ich erhob ebenso mein Weinglas und wir ließen die Gläser klirren. Der Gedanke die Memoiren eines Mannes zu schreiben erweckte nicht gerade große Freude in mir. Ich fragte mich, welche Vorstellungen er wohl hatte vom Erfolg seines Unternehmens. Santini stellte sein Glas auf den Tisch und lächelte mich entwaffnend an. „Sehen Sie, ich kann mir vorstellen, Memoiren sind nicht aufregend. Ich biete Ihnen einen Vorschuss von 5.000 Euro und hier.“ Er griff in seine Jackentasche und zog ein Flugticket hervor. „Dieses ist das Flugticket, sie müssten mich am morgigen Tag schon begleiten.“

Hoppla dachte ich, dieser Deal ging aber megaschnell. Das musste einen Haken haben. Auf der anderen Seite brauchte ich dringend das Geld. Ich musste meiner Exfrau noch zwei Monate Unterhalt zahlen und deshalb gab es wohl nicht viel zu entscheiden. „Wie sieht es mit einem Vertrag aus?“ Francesco Santini winkte ab. „Wir brauchen keinen Vertrag. Sollten wir nicht zu einem Ergebnis kommen, dann betrachten Sie das Geld als Entschädigung für ihren zeitlichen Aufwand.“ Ich sah ihn an und nickte zustimmend. Was mochte es wohl heißen, sollten wir nicht zu einem Ergebnis kommen? Egal, für mich zählte erst einmal die Rettung. Herr Santini bewirtete mich vorzüglich und so blieb ich lange an diesem Abend in der Pizzeria. Gegen Mitternacht verabschiedete ich mich und eilt zur nächsten Sparkasse. Ich zahlte 4.000 Euro auf mein Konto ein, dann marschierte ich zurück in meine Wohnung. Am nächsten Morgen überwies ich den Unterhalt an meine Exfrau über meine Onlinebanking Verbindung. Anschließend packte ich einen Koffer für meinen Flug nach Sizilien. Gegen Mittag fragte ich mich, ob ich überhaupt das Richtige tat, doch der Gedanke an das Geld ließ meine Zweifel verfliegen.

Ich traf Francesco Santini am Abfertigungsschalter der Fluglinie. Meine Erwartung der Mann würde mir etwas aus seinem Leben erzählen wurde enttäuscht, stattdessen las er Wirtschaftsnachrichten. Der Flug nach Sizilien verlief ebenso schweigend. Am Flugplatz erwartete uns bereits ein Chauffeur und unsere Reise führte aus der Stadt auf das Land. Plötzlich begann Santini zu reden. „Jetzt mein Freund fahren wir in das wirkliche Sizilien. In Sizilien hat es ein Großteil der Bevölkerung schwer, die Menschen leben in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen. Das war schon immer so und früher gab es deshalb sogar Aufstände. Ein Großteil der Sizilianer wanderte deshalb aus. Ihr Weg führte sie in die Welt doch im Herzen blieben sie Sizilianer. Das kann nur jemand verstehen, der hier geboren wurde und dieses Land liebt. Sizilien ist ein Schmelztiegel und am besten spürst du es an unseren Kochtöpfen. Wir haben eine der besten, gesündesten und schlichtesten Küchen der Welt. Wir haben gelernt, von unseren Eroberern das Gute zu behalten und das Schlechte nicht anzunehmen.“ Der Wagen fuhr durch eine Einfahrt und es dauerte noch ein wenig, bis wir an das Haus gelangten. Was heißt hier schon Haus, es war eine Villa.

Francesco stellte mir seine Frau Eleonora vor und einige Verwandte, die wohl seine Rückkehr erwartet hatten. Die Frau des Hauses führte mich zu meinem Zimmer und zeigte mir die Ausstattung, danach ließ sie mir Zeit, mich für das Abendessen umzuziehen. Während ich mich umzog, nahm ich die Gerüche wahr. Es waren die ersten Wegbegleiter einer anderen Welt. Ein Blick von meinem kleinen Balkon stimmte mich glücklich. Es war genau die passende Zeit, in der die Sonne ihr schönstes Licht ein letztes Mal über die Welt sendete, ehe sie sich zum Schlafe legte. Ich war fasziniert von diesem Moment und am liebsten wäre ich gar nicht mehr auf diese Welt zurückgekehrt, so sehr war ich mitten in einem Tagtraum gefangen, voller Zärtlichkeit und Sanftmut.

Ich hörte weder das Klopfen an meiner Zimmertür noch bemerkte ich die Person in meinem Rücken, einzig und allein der dezente Geruch eines Parfüms, welches mich an Mill erinnerte, irritierte mich ein wenig. Eine zarte Hand legte sich auf meine Schulter und eine betörende Frauenstimme flüsterte mir die Worte ins Ohr. Ich verstand nicht ihren Sinn, ich hörte nur auf die Melodie ihres Tonfalls und musste eingestehen, diese Stimme fesselte mich. Langsam fast im Zeitlupentempo drehte ich mich um, dann trafen sich unsere Augenpaare. Es waren zwei Augen, die glänzten wie die Sterne, klar wie ein Kristallsee in den Bergen. Ihr Haar war schwarz und ihr Gesicht strahlte voller Wärme, ihr Mund war lieblich und die Gesichtszüge zeigten die Reife einer wunderschönen Frau. Hätte ich geschrieben der Blitz, schlug ein oder ich war plötzlich von Sinnen, ich war sicher nicht mehr bei klarem Verstand. „Haben Sie mich nicht gehört? Ich habe an der Tür geklopft, mein Vater meinte ich solle sie rufen. Wir warten auf der Terrasse oder haben Sie etwa keinen Hunger?“ Natürlich hatte ich Hunger, es dürstete mich nach Leben und Frohsinn. Hatte ich mich etwa so plötzlich verliebt? Nein! Das konnte nicht sein, ich war hier, weil ich ein Buch schreiben sollte.

„Mein Name ist Alessia.“ Sie reichte mir ihre zarte Hand und ich ergriff sie behutsam, so als würde man mir Juwelen reichen. Ich stammelte so einen Mist. „Ich bin entzückt. Sie haben einen sehr schönen Vornamen. Ich heiße Alex Blau.“ Das war wohl die platteste und dümmste Anmache aller Zeiten, es fehlte mir aber tatsächlich in diesem Augenblick an der Klarheit und Brillanz meiner Gedanken und so gereichten meine Worte eben nur zu einer seichten Kommunikation. Wie konnte ich auch außerdem auf die Idee kommen dieses zarte Geschöpf würde an mir Interesse entwickeln. Schlagartig war mir bewusst, ich war nur ein Schriftsteller, sie aber war die Göttin Aphrodite aus einer anderen Welt. Nie würde es mir gelingen in dieser Welt Beachtung zu finden. Ich spürte einen leichten Herzschmerz, als ich ihr zur Treppe folgte. Während Alessia die Treppe hinab schwebte, kam ich mir wie ein Bauernlümmel vor.

Ich setzte mich an den mir zugewiesenen Platz und meine Angebetete saß genau neben mir. Ich versuchte mich an diesem Abend zu konzentrieren, nichts falsch zu machen und keine Gefühle zu zeigen. Ich verkroch mich geradezu in mein Schneckenhaus und hoffte niemandem würde meine Pein auffallen. Natürlich fiel ich auf, Francesco grinste verschmitzt und seine Frau lächelte mich ständig freundlich an. Einige Mal berührte Alessia mich, legte ihre Hand auf meinen Handrücken und bat mich ihr Dinge vom Tisch zu reichen. Es war als würde ich Stromschläge verpasst bekommen, Gefühle wallten durch meinen Körper und eine Gluthitze erfasste mein Herz. Francesco kam zu mir herüber und fragte. „Wollen wir zwei noch einen kleinen Spaziergang machen oder willst du lieber mit meiner Tochter den Sternenhimmel genießen?“ Hatte ich mich so daneben benommen? War es mir nicht gelungen, meine Gefühle für mich zu behalten? In diesem Augenblick spürte ich eine leichte Röte auf meiner Visage und ich hasste mich dafür. Alessia hingegen lächelte ihren Vater an. „Vater du bist doch sicher müde. Ich denke meine Wenigkeit wird unserem Gast noch unser Land zeigen. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich ihn gerne Morgen zu einer Wanderung entführen.“ In mir regte sich ein letzter Versuch, sich meinem nahenden Schicksal zu entziehen. „ Das ist zwar nett von ihnen Alessia, ich denke nur ich sollte langsam anfangen, die Memoiren ihres Vaters zu schreiben.“ Francesco Santini klopfte mir auf die Schultern. „Entspanne dich Alex, das Buch hat doch noch Zeit. Große Ereignisse brauchen ihre Zeit um zu reifen. Du musst erst Sizilien kennenlernen, ehe du schreiben kannst. Uns läuft doch die Zeit nicht davon, wir müssen sie eben nur richtig und sinnvoll nutzen. Meine Tochter ist eine sehr begabte Architektin. Übrigens ist meine Kleine die beste Partie weit und breit.“ Das mochte wohl so sein aber bestimmt nicht für mich.

Ich beschloss, am nächsten Tag nach unserer Wanderung mit Francesco zu sprechen. Es schien mir wichtig ihm die Wahrheit zu sagen. An diesem Abend verlor ich unter dem sizilianischen Sternenhimmel gänzlich mein Herz. War es die atemberaubende Fee an meiner Seite, war es der Duft, welcher in der Luft lag oder war es die klare Nacht voller glitzernder Sterne, ich hatte mich unsterblich verliebt. Der nächste Tag führte Alessia und mich an einem trocken, heißen Sommertag durch eine die Sinne berauschende Landschaft. Die Vegetation war unbeschreiblich, Wildblumen wie Jasmin, Mimosen und Orchideen wuchsen entlang unseres Weges. Überall waren Wildkräuter und ihr Aroma lag in der Luft. Sie führte mich zu Gummibäumen, Bananenstauden um anschließend unter Olivenbäumen mit mir zu sitzen. Sie sprach und ich hörte zu, meine Augen hingen an ihren Lippen. Am liebsten hätte ich sie geküsst, doch dazu fehlte mir der Mut.

Eine innere Stimme rief mich zur Vernunft auf, ich sollte ihr weder Schmerz noch Leid zufügen, es war mein stilles und leises Leiden. Am Abend suchte ich das Gespräch mit Fancesco. Er ließ mich nicht zu Wort kommen, stattdessen sagte er mir es wäre im Moment keine Zeit. Wir würden in der kommenden Woche am Samstagnachmittag miteinander reden. Er habe extra ein Boot für dieses Gespräch geordert. Ich solle mich doch an Alessia halten, die wisse schon, was zu tun wäre.

In meinem Zimmer wurde mein Laptop ausgepackt und ich begann mir meinen Frust von der Seele zu schreiben. Die Frage war doch: Konnte diese Situation noch gerettet werden? Alessia ließ mir keine Zeit, rein zufällig kam sie in mein Zimmer. Ich sollte sie zu den Arabern begleiten. Araber? Pferde, was denn sonst. So verbrachte ich auch diesen Abend mit Alessia. Die folgenden Tage litt ich die höchsten Qualen, die Liebe hatte mich in Brand gesetzt und ich drohte, daran innerlich zu verglühen. Während mich die Frau durch die Blütezeit der Insel führte und ich den kulinarischen Genüssen erlag, wünschte ich mir insgeheim diese Zeit möge nie vergehen.

Am Samstag war es dann so weit. Wir fuhren zum Meer und bestiegen ein großes Schiff. Es war festlich geschmückt und alles sprach für ein großes Ereignis. Alessia flüsterte mir zu. „Vater hat heute Geburtstag.“ Das war wieder so ein Moment, an dem ich vor Scham fast im Boden versank. Ich hatte kein Geschenk für ihn, das war mir sehr peinlich. An Bord des Schiffes wurde mir ein Platz am Tisch Francescos zu gewiesen und wieder saß ich neben Alessia. Ich war so mit den Eindrücken beschäftigt und so entging mir das Ablegen des Schiffes. Auf See wurden erst einmal Reden geschwungen, wie es bei solchen Anlässen üblich war. Irgendwann gelang es mir, das Geburtstagskind für einen Augenblick ungestört zu erwischen.

Wir standen am Heck des Schiffes sahen hinaus auf das Meer und ich erzählte ihm die Wahrheit. Er legte seine Hand auf meine rechte Schulter. „Ich habe von meinem Sohn schon Deine Geschichte gekannt und ich habe nur darauf gewartet, dass Du mir es selber erzählst. Du bist ein anständiger Mensch. Willkommen in meiner Familie.“ Er umarmte mich. Was sollte dies nun heißen? Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken, Riccardo und Sofia, verwickelten mich in ein Gespräch. Geschickt bugsierten sie mich zurück an meinen Tisch. Ich setzte mich und Eleonora gab mir einen Kuss auf die Wange.

Francesco kam an den Tisch. „Es wird langsam Zeit, das ein alter Sizilianer seinen Herzenswunsch erfüllt bekommt. Meine Tochter ist nun schon vierzig Jahre und immer noch unverheiratet. Ich will nicht sagen, es sei eine Schande. Nein! Ich liebe meine Tochter und ich gebe sie nur in gute Hände ab. Es wird langsam Zeit, meine Memoiren zu schreiben. Was meinst Du dazu Alex?“ Ich zuckte verlegen mit den Schultern. „Ich stimme natürlich zu.“ Francesco nickte. „Das heißt Du wirst meine Tochter zur Frau nehmen. Sie ehren, achten, respektieren und Ihr treu sein?“

Ich war sprachlos. Was geschah hier? Wie konnte er einem Menschen wie mir einen solchen Diamanten anvertrauen? Verzweifelt suchte ich nach einem Strohhalm. „Lieber Francesco, ich kann doch keine Frau heiraten ohne ihr Einverständnis.“

Alessia beugte sich zu mir herüber und gab mir einen langen, zärtlichen Kuss. Ich konnte nicht anders, aber jetzt brachen alle meine Dämme auf einmal. Ich hielt sie eng umschlungen und ich ließ sie so schnell nicht mehr los. Einige Zeit später trennten sich unsere Lippen und Alessia flüsterte mir ins Ohr. „Glaubst Du wirklich mein Vater verheiratet mich, ohne vorher sich genau zu informieren, wenn ich mir da anlache.“

Eleonora liefen Tränen der Freude die Wangen hinab. Francesco hingegen klatschte in die Hände und alle Stimmen waren schlagartig still. „Ich, Francesco Santini, der alte Sizilianer, verkünde euch Allen mein schönstes Geburtstagsgeschenk. Meine Tochter Alessia und Alex werden heiraten.“

Die ganze Familie freute sich. Ich hatte geglaubt, mir ausmalen zu können, wie Sizilianer feiern, aber die nachfolgenden Stunden zeigten mir eine überschwängliche pure Lebensfreude. Francesco sagte irgendwann zu mir. „Alex, jetzt haben wir dann doch noch schnell meine Memoiren geschrieben.“

Ich schaute ihn erstaunt an. „Hast du wirklich geglaubt, ich würde meine Memoiren schreiben? Es war nur ein Vorwand um dich auf diese Insel zu entführen. Es sei mir verziehen.“ Ich strahlte über mein ganzes Gesicht vor Freude und Glück. „Ich glaube es war die sinnvollste Entführung meines Lebens. Ich werde meine neue Freiheit unter der Sonne Siziliens und an der Seite meiner sizilianischen Liebe genießen.“

Eleonora klatschte freudig in die Hände. „Das heißt, Du bleibst hier auf der Insel.“ Ich nickte. „Gibt es einen schöneren Ort für die Liebe und das Leben?“ Alessia und ich heirateten im Herbst dieses Jahres. Im Jahr darauf waren wir schon zu dritt.

© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany

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