Dienstag, 21. September 2010

Madame Elaine Perrault

Madame Elaine Perrault


Am frühen Morgen ist Serge in meiner Begleitung mit dem kleinen Boot hinausgefahren. Unser Ziel war eine Stelle, an der es Langusten gibt. Erfreut stellen wir fest, vier große Langusten sind unser Fangergebnis. Schweigend fahren wir zurück zu unserer Bootsanlegestelle. Ich nehme meine Angelausrüstung und setze mich auf die Kaimauer.

Serge zündet sich eine Gitanes an und hüllt sich gleich in weißen Rauch ein. „Willst du auch eine Gitanes, Jean?“ Er hält mir die Packung unter die Nase. „Serge behalte bitte die Sargnägel für dich.“ Serge ereifert sich. „Na höre Mal, ausgesprochen freundlich bist du an diesem Morgen nicht. Ich biete dir eine Zigarette an und du quatschst irgendeinen Blödsinn von Sargnägeln.“ Ich atme tief durch und lache. „Das ist meine Art von Galgenhumor.“

Serge schaut mich besorgt an. „Du fällst mir noch von der Kaimauer ins Wasser. Was glaubst du eigentlich, was du da machst?“ „Ich angele, das sieht man doch!“ Serge grinst. „An dieser Stelle wirst du noch in drei Tagen sitzen und kein Fisch wird anbeißen.“ Ich verteidige mich. „Ich habe einen erstklassigen Köder.“ „Das ist keine Frage des Köders, diese Stelle ist ungeeignet.“ „Lieber Serge, du bist Chefkoch und kein Fischer.“ „Lieber Jean, du bist garantiert kein Fischer.“

In meinem Rücken erklingt eine weibliche Stimme. „Was machst du auf der Kaimauer, Jean? Wo sind meine Langusten?“ Serge zeigt auf das Boot. „Habe ich dich gefragt? Bekomme ich bald eine Antwort, Jean.“ Ich klettere von der Mauer und lege meine Angel auf die Brüstung. „Kein Wunder, hier kann kein Mensch einen Fisch fangen, bei dem Lärm.“

Madame Elaine Perrault klatscht in die Hände. „Auf! Auf! Zeige mir den Fang.“ Ich gehe zum Boot und werfe einen Blick auf die Reuse. „Es sind vier Madame.“ Die Dame betrachtet den Fang genauer und nickt zustimmend. „In Ordnung, bringt die Langusten zum Haus. Die wird es heute anlässlich meines Geburtstages geben. Ich muss noch ein paar Erledigungen machen. Wir sehen uns dann später.“ Sie drückt mir einen zarten Kuss auf meine linke Wange.

Serge schaut mich fragend an. „Was willst du, Serge?“ „Hast du gewusst, dass sie heute Geburtstag hat.“ „Nein, ich habe es vergessen.“ Serge haut sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Wie blöde bist du eigentlich? Lass mich raten, du hast natürlich auch kein Geschenk für Madame!“ Ich zucke mit den Achseln. „Vergessen.“ Serge brüllt. „Du hast was? Vergessen! Bist du eigentlich noch ganz normal. Eine Frau wie diese bekommst du so schnell nicht mehr.“

Wir tragen die Langusten zum Haus. „Wer sagt überhaupt, dass ich Madame will?“ Serge wütend. „Ich! Du Schwachkopf! Manchmal frage ich mich, ob du überhaupt in deinem Kopf so etwas wie Intelligenz hast? Du bist ein typischer Mann! Vergisst den Geburtstag seiner Angebeteten.“

Wir stellen das Behältnis mit dem Fisch auf dem Küchentisch ab. Die Köchin schaut mürrisch zu uns herüber. „Wie ich sehe, darf ich wieder die Arbeit machen. Wieso kocht heute eigentlich nicht der 5 Sternekoch, Monsieur Serge?“ Serge zieht tief Luft ein. „Eine noch dümmere Frage kann diese Köchin nicht stellen! Monsieur Serge hat zurzeit Urlaub. Das steht groß an der Tür meines Restaurants verkündet.“ Die Köchin mault. „Wenn ich die Herren so betrachte, dann habe ich das Gefühl, sie haben das ganze Jahr Urlaub.“

Das reicht, zu mindestens uns. Wir kehren ihr den Rücken zu und verlassen verärgert ihr Küchenreich. Serge zeigt zur Kellertür. „Sollten wir nicht ein wenig Wegzehrung mitnehmen? Ich denke der Keller wird uns mindestens zwei Flaschen Chablis hergeben.“ Ich flüstere leise. „Die Köchin zählt die Flaschen.“ Serge grinst. „Und hat die hier etwas zu melden?“ „Nein! Natürlich nur Madame Eliane Perrault.“

Wir steigen die Stufen hinab in den Weinkeller und Serge meint beiläufig. „Mache mir einen Gefallen und lasse den ganzen Unsinn weg. Sie heißt Elaine, wann begreifst du das?“ Ich suche derweil den Wein aus. „Wenn dir so viel an ihr liegt, Serge, dann heirate doch deine Elaine.“ Mein Freund schüttelt den Kopf. „Ich würde sie sofort heiraten, Elaine will aber dich. Eine bessere Partie findest du in der ganzen Bretagne nicht. Die Frau hat Geld, sieht gut aus und akzeptiert einen Lebenskünstler wie dich. Was willst du eigentlich noch mehr?“

Ich habe endlich den Wein gefunden und lege die Flaschen in einen Weidenkorb. Serge hat einen Flaschenöffner und zwei saubere Gläser entdeckt. „Junge, Junge, ich werde Elaine sagen, dass du sie liebst und jetzt hauen wir endlich ab, bevor die alte Köchin uns noch verdrischt.“ Serge nimmt mir den Korb ab. „Nur damit du Bescheid weißt, wir gehen jetzt erst einmal für Elaine ein Geschenk besorgen.“ Ich muss anlässlich dieser Hartnäckigkeit grinsen.

„Heute mein Freund ist Sonntag, da werden wir wohl allenfalls ein paar Feldblumen auftreiben.“ Serge tippt mir auf die Brust. „Du wirst ihr ein anständiges Geschenk überreichen und wenn ich die Ladenbesitzer einzeln in ihre Geschäfte schleppen muss.“ Das beeindruckt mich nun überhaupt nicht, große Sprüche waren ein Bestandteil seines ganzen Lebens.

Ich will nicht verhehlen peinlich ist mir die Angelegenheit schon. Während wir das Haus verlassen, kommt mir ein Gedanke. Wie kann Madame Elaine Perrault an einem Sonntag noch Erledigungen machen? Vielleicht hat sie gar einen Freund, den Apotheker, Arzt oder den Bäcker, wer weiß schon was in einer Kleinstadt so alles hinter dem Rücken der Öffentlichkeit passiert?

Der alte Fuchs, Serge, stellt den Weidenkorb auf dem Boot ab. Anschließend gehen wir durch die Innenstadt. Wie ich vermutet habe, sind an diesem Sonntag die Geschäfte zu. Lediglich eine Art Trödlerladen hat geöffnet. Eine junge Dame schleppt gerade Kisten in das Geschäft. Wir folgen ihr und schauen uns die Auslagen an.

Irgendwann bemerkt die junge Frau ihre Besucher. „Hallo! Meine Herren heute ist Sonntag, da habe ich geschlossen.“ Ich lächele sie freundlich und ergeben an. „Entschuldigung, Madame, meine Freundin hat heute Geburtstag und ich möchte ihr noch ein Geschenk besorgen.“

Die junge Dame schüttelt missbilligend den Kopf. „ Ich frage mich immer wieder, was wir Frauen an euch Männern finden? Ihr vergesst ohne Not unsere Geburtstage, Verlobungstage, Heiratstage und was weiß ich alles. Na gut, eine Ausnahme, aber nur eine und nur an diesem Sonntag. Verstanden!“

Serge nickt zustimmend. „Mir passiert so etwas nicht, dem Typ hier laufend.“ Die junge Dame schaut sich in ihrer Auslage um. „Was soll es sein? Wie alt ist die Dame? Wie heißt Madame?“ Wahrheitsgemäß antworte ich. „Madame Elaine Perrault und es ist nicht anständig, über das Alter einer Dame zu reden.“

Die junge Frau wird bleich im Gesicht. „Sie meinen doch nicht etwa die Perrault mit dem großen Anwesen?“ Ich frage etwas amüsiert. „Gibt es noch mehr von der Sorte?“ Die junge Dame verneint. „Ich glaube kaum. Das Geschenk für die Dame hätte ich.“
Sie geht zu ihrem großen Ladentisch und öffnet eine Schublade. Zum Vorschein kommt eine Schmuckschatulle. Die Frau stellt die Schatulle auf dem Ladentisch ab und öffnet das Kästchen. Was ich nun sehe, verschlägt mir den Atem. Vor meinen Augen kommen eine Kette, ein Armband und ein Ring zum Vorschein, die mir mehr als bekannt vorkommen. Ich frage leise. „Woher stammt dieser Schmuck?“

Die junge Frau zuckt nicht wissend mit den Schultern. „Ich habe den Laden vor ein paar Monaten übernommen, nach dem ich mein Studium in Paris beendet habe. Merkwürdig ist, der Schmuck war bereits hier in diesem Tisch. Fragen Sie mich bitte also nicht nach seiner Herkunft. Es erscheint mir allerdings, als sei er ist ihnen wohlbekannt?“ Serge stupst mich an. „Die Dame hat dir eine Frage gestellt.“

Ich nicke. „Ich kenne diesen Schmuck, dieses Kunstwerk ist in der Zeit Napoleons Bonaparte angefertigt worden von einem Juwelier in Paris. Dieser Schmuck gehörte einer bedeutenden Frau.“ Die junge Frau schaut mich überrascht an. „Dann ist der Schmuck sehr viel Geld wert?“

„Das kann ich nicht beurteilen aber ich würde schon behaupten wollen, dass er auf einer Auktion sehr viel einbringen könnte. Der Schmuck selbst dürfte aber bestimmt immer noch als gestohlen gelten.“ Serge schüttelt den Kopf. „Du willst doch nicht behaupten, die junge Dame habe den Schmuck gestohlen?“

„Nein! Das ist doch viel früher passiert. Die Frage ist doch nur, wie viel soll der Schmuck kosten? Ich möchte die Dame nicht über das Ohr hauen.“ Die junge Frau lächelt mich freundlich an. „Sie hätten mir nichts erzählen müssen, Monsieur. Meine Preisvorstellung wäre erst einmal zweihundert Euro gewesen. Was halten Sie von dem Preis?“

Ich besitze tatsächlich noch dreihundertfünfzig Euro vor der Pleite. Im Grunde verdanke ich Madame Elaine Perrault eine ganze Menge. Irgendwie werde ich auch das Gefühl nicht los, diesen einzigartigen Menschen schon seit sehr langer Zeit zu kennen. Mein Entschluss steht fest.

„Jawohl, Madame, ich werde ihnen den Schmuck für diesen Preis abkaufen. Gerne würde ich ihnen mehr geben, nur meine Vermögensverhältnisse lassen dies augenblicklich nicht zu.“ Die junge Dame grinst. „Es würde mir schon zur Ehre gereichen, wenn sie mich bei Madame positiv erwähnen.“

Ich verneige mich vor ihr. „Das werde ich selbstverständlich tun. Ich habe übrigens gelesen, sie restaurieren auch Bilder, Madame hat eine große Gemäldesammlung zeitgenössischer alter Meister. In dem Bereich gibt es eine Menge Arbeit.“

Die junge Dame hält mir das verpackte Geschenk vor die Nase. „Sehen Sie, Monsieur, so können wir uns doch gegenseitig helfen.“ Ich reiche ihr das Geld und sie bedankt sich. „Es hat mich gefreut mit Ihnen Geschäfte machen zu dürfen, Monsieur.“ Ich reiche ihr die Hand. „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Madame.“

Auf der Straße meint Serge. „Damit du es weißt, du hast die Kleine ganz schön angebaggert. Das ist nicht fair gegenüber, Elaine.“ Ich bleibe stehen und mustere ihn aus meinen dunklen Brillengläsern. „Ich habe mit der jungen Dame lediglich Konversation betrieben.“ Serge faucht wie ein Walross. „Du bist und bleibst ein alter Frauenbetörer!“

Ich lache laut auf. „Ich habe noch ganze hundertfünfzig Euro vor meiner endgültigen Pleite. Willst du mir meinen letzten Stolz auch noch nehmen?“ Serge schaut mich bekümmert an. „So schlimm steht es um dich?“

„Ja! Ich habe sogar die Auftragsarbeit angenommen, die Memoiren eines adligen Spaniers zu schreiben.“ Serge klopft mir mitleidig auf die Schultern. „Weißt du was, darauf nehmen wir einen Chablis. Die Welt sieht gleich besser aus. Dir scheint es ja mächtig dreckig zu gehen. Was ich nicht verstehe, warum nimmst du nicht Elaine zur Frau?“

Ich winke ab. „Wie soll ich um ihre Hand anhalten. Vielleicht mit dem Spruch, ich bin chronisch pleite und auch ansonsten ist nicht mehr viel mit mir los. Was hätte ich zu bieten, was eine Frau interessieren könnte?“

Serge sieht diese Sache vollkommen anders. „Im Leben geht es nicht immer nur ums Geld. Du bist liebenswürdig, zuverlässig und anständig. Du kannst sehr charmant sein und eine Frau fühlt sich durchaus in deiner Gegenwart wohl. Glaubst du etwa solche Werte, zählen nicht?“

„Um ehrlich zu sein, Serge, in dieser Welt zählen solche Werte rein gar nichts, da zählt nur die Kohle.“

Serge betritt vor mir das Boot. „Ich weiß nicht, wenn die Welt tatsächlich nur noch so wäre, dann wäre es eine schlechte Welt.“

„Das mein Freund, kommt auf die Seite des Betrachters an. Die Menschen haben ein gutes Recht auf ihr eigenes Leben und Gedankengut. Die Masse der Menschen hat sowieso keine Zeit mehr, die hetzen nur noch hinter ihren vermeintlichen Erfolgen und Gelderträgen her.“

Serge grinst. „Na, wenn das so ist, dann wollen wir jetzt ganz gemütlich unseren Chablis genießen. Übrigens was würdest du zu einem Stück Käse sagen?“ Ich nicke zustimmend. „Käse esse ich immer gerne.“

Während wir gemütlich über Gott und die Welt plaudern, nähert sich uns bereits Madame. Sie taucht plötzlich und vor allem von uns unerwartet auf.

Natürlich bin ich überrascht, ihr Aussehen lässt keine Zweifel mehr offen, sie muss einen Liebhaber haben. Ob es der Friseur ist? Nein! Der Bock ist schließlich zu alt. Sie fragt ganz ungeniert. „Was bewunderst du mich so, Jean?“

Bewundern? Ich doch nicht! Ich frage mich eher, welcher Kerl dahinter steckt, obschon es mich doch überhaupt nichts angeht. Stattdessen versuche ich mich in Schadensbegrenzung.

„Madame haben ihre Haare verändert.“ Sie setzt sich neben mich und das Unheil nimmt seinen Lauf. Es knackt leicht unter ihrem Gesäß, beim Versuch sich zu setzen. Madame schaut nun genauer nach. Es gibt keine Chance mehr das Missgeschick zu verhindern.

Unter meiner Nase winkt nun ein Geschenk. „Was bitte ist das für ein Geschenk, lieber Jean?“ „Das Madame Perrault ist ein Geschenk für das Geburtstagskind.“ Elaine kichert. „Serge, was hat der schon getrunken?“ Der bekreuzigt sich. „Madame Perrault, garantiert nur ein Glas Wein, ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist.“ Nun lacht Madame laut schallend. „Das kann nicht besonders viel sein, Serge. Jetzt zu dir mein Liebster, wann gewöhnst du dir endlich dieses Madame vorne und hinten ab. Ich heiße Elaine, ist der Name so schwer auszusprechen?“

„Nein, ich meine, ich will sagen.“ Elaine fährt mir über den Mund. „Es wäre gescheiter du machtest einfach für die nächste Zeit deinen Mund zu, sonst verdirbst du mir noch die Freude. Darf ich mein Geschenk auspacken?“

Ich nicke zustimmend und bleibe artig ruhig. Serge hingegen grinst sich voll eins weg. Tolle Leistung auf Kosten anderer! Elaine hat die Schmuckschatulle bereits auf ihren Beinen liegen. Ungefragt nimmt sie mein Weinglas aus der Hand und trinkt einen Schluck von meinem Wein. Serge grinst mich jetzt noch breiter an. Ich hingegen habe ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und eine Art von Ahnung beschleicht mich, gleich wird es noch heftiger zu gehen. Madame öffnet den Deckel und ein merkwürdiges Strahlen liegt plötzlich auf ihrem Gesicht. Sie streichelt zart den Schmuck.

Serge meint ruhig und gelassen. „Ein schöner Modeschmuck, wenn auch nicht ganz alltäglich.“ Madame Perrault hebt den Kopf, schaut verständnislos Serge an. „Du alter Schwachkopf! Du hast doch wirklich keine Ahnung, allenfalls von deinen Kochtöpfen.“

Serge nimmt es ihr keineswegs Übel, er gießt sich ein Glas Chablis ein und prostet ihr zu. „Auf ihr Wohl, Madame.“ Elaine drückt mich an sich und gibt mir einen Kuss. Serge witzelt. „Muss Liebe schön sein, wenn ich groß bin, will ich auch einmal.“ Elaine lächelt mich an.

„Woher wusstest du?“ „Ich habe es gefühlt, dieser Schmuck ist von großer Bedeutung.“ Elaine nickt bedeutungsvoll. „Ja, dieser Schmuck ist von sehr großer Bedeutung für die Frauen des Hauses Perrault. Leider wurde er uns gestohlen. Jetzt kehrt er endlich in unseren Besitz zurück.“ Elaine streift sich das Armband an, legt sich die Kette um und reicht mir den Ring. „Kannst du mir bitte den Ring überstreifen?“

Ich ahnungsloser Mensch tue es natürlich, aus reiner Höflichkeit versteht sich. Ob dieses für mich Folgen haben wird?

Elaine streckt die Hand aus in Richtung Serge. „Siehst du Serge, jetzt habe ich doch noch meine Geburtstagsüberraschung bekommen, das ist mein Verlobungsring.“

Ich bin wohl überrumpelt worden oder sehe ich die Angelegenheit im falschen Licht? Ich bekomme ganz schnell Klarheit. Elaine gibt mir einen Kuss auf den Mund. „Jetzt sind wir Verlobte, Jean. Du willst mich doch?“

Mache jetzt bloß keinen Fehler Jean, dazu, habe ich keine Zeit, zu sehr bin ich sprachlos. Mein Gefühl in der Magengegend und diese komischen Schmetterlinge haben mich also nicht betrogen. Allerdings es ist noch nicht vorbei, im Gegenteil es ist noch schlimmer geworden, ich brenne voller Leidenschaft und Liebe.

Die Ernüchterung bringt Serge. „Was ist also an dem Schmuck echt? Der liegt so einfach in einer Ladentheke rum, das ist doch merkwürdig.“ Elaine grinst. „Dieser Schmuck, mein Bester, wurde in Paris hergestellt mitten in den Wirren der Französischen Revolution. Diese grünen Steine sind Smaragde, eingefasst mit weißen Perlen und das, was hier so funkelt, sind Diamanten. Hast du noch eine Frage?“ Serge, der gerade genüsslich an seinem Rotwein kostet, verschluckt sich.

Elaine nimmt das Geschenkpapier und stutzt. „Jean, wer ist diese Nadine Perrault?“ Ich antworte nach besten Wissen und Gewissen. „Ich kenne keine Nadine Perrault.“ Madame nimmt ihren Zeigefinger, um mir deutlich zu machen, was sie von Falschaussagen hält. „Schwindele mich nicht an, du kennst die Dame.“ Ich grinse sie an. „Also wirklich Elaine, kaum bist du verlobt, da machst du schon Eifersuchtsszenen.“ Ihre Antwort hält sie mir vor meine Augen. Ich lese deutlich, Nadine Perrault, Rue de l´odéon 14, 6 arrandissement Paris.

„Das muss wohl die junge Dame in dem Laden erklären können. Ich muss zugeben ich habe nicht nach ihrem Namen gefragt. Eigenartig ist nur, sie bat mich um eine Empfehlung. Immerhin versteht die Frau sich auf die Restaurierung von Gemälden.“ Elaine klatscht in die Hände. „Gut mein Lieber, dann lass uns die junge Dame aufsuchen. Ich möchte das Mädchen sehen und mit ihr reden.“ Ich erhebe mich.

Serge hingegen meint trocken. „Ihr zwei Turteltäubchen habt sicher nichts dagegen, wenn ich euren Chablis mittrinke.“ Eine Antwort bekommt er nicht, wir sind auf dem Weg zu diesem kleinen Trödlerladen.

Ehrlich gesagt, ich habe wenig Hoffnung dort noch eine offene Tür vorzufinden. In dem Punkt irre ich gewaltig. Die Tür zu dem Laden steht wie am Morgen offen. Ich lasse Elaine den Vortritt. Nun gibt es Erscheinungen im Leben, die sind nicht nur merkwürdig, sondern haben den Beigeschmack der Mystik.

Während Elaine sich in dem Geschäft umsieht, mache ich im Nebenraum eine für mich ungeheuerliche Entdeckung. Vor meinen Augen steht die Glasvitrine von Napoleon Bonaparte. Das kann nun wirklich jeder Mensch behaupten. Das Einzigartige sind die Bewohner dieser Vitrine. Es sind alle Soldaten des napoleonischen Heeres vertreten, vom Trommler bis zum General. Die Figuren sind aus Zinn gegossen und ihre Kleidung und jeweilige Bewaffnung ist bis ins kleinste Detail vorhanden. Dieser Anblick versetzt mich in meine Jugend. Oft habe ich vor dieser Vitrine gestanden und die Figuren bewundert, da war Ehrfurcht in mir. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, diese Figuren zum Spiel zu nutzen. Kein Mensch musste mir erklären, welchen ungeheuerlichen Wert diese Sammlung hatte. Meine Großmutter war gezwungen gewesen aus Geldnot diese Vitrine zu verkaufen. Das habe ich nie verstanden, geschweige denn wirklich begreifen wollen. Bittere Tränen waren geflossen und tiefe Trauer hatte mein so junges Herz erfasst. Ich hätte nie in meinem Leben geglaubt, dieser Vitrine jemals wieder zu begegnen. Jetzt stehe ich unmittelbar davor und fasse mein Glück kaum.

Elaine steht still hinter mir, lehnt sich an den Türrahmen. Sie hat sofort erkannt, um welche Sache es geht. „Das ist die Vitrine aus eurem Salon. Ich kann mich gut daran erinnern, davor stand der Flügel und an der Wand das Klavier. Ihr hattet damals noch Geld.“ Ich sage ein wenig ernüchtert. „Wir haben alles verloren.“ Elaine sagt zärtlich. „Das stimmt so nicht. Betrachte es genau, du hast das Vermögen und die Macht verloren; aber nur um daraus zu lernen. Außerdem hat die Familie Perrault in dieser Zeit im Gegenzug ein Vermögen aufgebaut. Du hattest hingegen die Zeit zur Reife und jetzt bekommst du die Frau und die Macht. Was gilt es, nun noch der Vergangenheit nach zu trauern. Die Vitrine werden wir kaufen und damit wäre dann wohl die Angelegenheit geklärt.“

Ich nicke zustimmend. „Dein Einwand stimmt, es ist nicht gut der Vergangenheit nachzutrauern, darüber wird oft die Zukunft verschlafen.“

Elaine scheint zufrieden. „Gut, wenn du diese Fakten erkannt hast. Jetzt bleibt nur noch die Frage. Wo steckt diese junge Dame?“

Diese Frage ist gut, immerhin sind wir schon eine geraume Zeit in diesem Laden. Wenn es in unserer Absicht liegen würde, so hätten wir genügend Zeit gehabt, um das Geschäft auszuräumen. Ich finde diese Situation merkwürdig und verlasse das Geschäft. Elaine folgt mir instinktiv. „Spürst du auch, hier stimmt etwas nicht, Jean. Das Mädchen ist sicher in Gefahr.“

Genau, ich habe so ein merkwürdiges Gespür. „Du bleibst vor dem Laden, Elaine. Ich werde mir das Haus genauer ansehen.“ Ich betrete erneut das Geschäft und suche nun alle Räume systematisch ab. Aus einem der Zimmer höre ich ein Stöhnen. Langsam öffne ich die Tür und werfe einen Blick in den Raum. Am Boden liegt eine Frau und auf der Frau liegt ein Schrank. Ihre Augen schauen mich hilfesuchend an.

Während ich die Tür weiter öffne. stürmt Elaine bereits an mir vorbei. „Madame Perrault, sie schickt der Himmel.“ Elaine schaut mich fragend an, doch ich weiß hier im Moment auch keine Antwort. Vielleicht ist man sich irgendwann in Paris über den Weg gelaufen.

Elaine beugt sich besorgt über die junge Frau. „Was haben Sie angestellt?“ Die junge Frau seufzt. „Ich wollte den Schrank aufbauen und dann ist plötzlich alles zusammengebrochen und ich mittendrin. Ich bin so unglücklich gefallen, ich kann mich nicht selbst befreien.“ Ich nicke. „Das sehe ich. Haben Sie vielleicht Schmerzen?“

„Nein! Ich habe Angst.“ „Das finde ich gut, sie sind wenigstens ehrlich. Ich werde jetzt langsam das Holz über ihnen beiseiteschaffen.“ Gemeinsam mit der Hilfe von Elaine schleppen wir die Einzelteile zur freien Wand und lehnen sie dort an. „Jetzt weiß ich auch, warum sie sich nicht befreien konnten. Dieser Schrank ist aus Massivholz.“

Irgendwann ist die junge Frau endlich von allem Mobiliar befreit. Steht sie nun auf? Nein! Sie bleibt einfach am Boden liegen. Elaine macht es schon, sie reicht ihr die Hand. „Aufstehen, junge Dame.“

Die Hand wird ergriffen und Augenblicke später steht unsere verhinderte Möbelbauerin auf zwei Füssen vor uns. Sie streckt und bewegt sich, augenscheinlich ist der Körper heil geblieben. Elaine löst die Anspannung im Raum auf. „Woher kennen Sie mich eigentlich?“

Die junge Frau, ein wenig verlegen. „Ich glaube wir sind verwandt.“ Elaine schaut ihr tief in die Augen. „So, so, die junge Dame glaubt. Was so viel heißt wie, ich weiß es nicht mit Sicherheit. Dann ist es wohl eher Unsicherheit.“ Die junge Dame schaut unter sich. „Entschuldigung, Madame.“

Elaine nimmt ihr Gegenüber in den Arm. „Es gibt doch keinen Grund sich zu entschuldigen auf der Suche nach der Wahrheit. Erzähle mir deine Geschichte.“

Die junge Frau erzählt, von der Mutter, welche bei ihrer Geburt stirbt. Der Vater Maler, Künstler, Alkoholiker und Spieler. Er hat das ganze Vermögen durchgebracht und sich dann einfach drei Meter tiefer gelegt. Sie, ihr Name ist Nadine, war damals gerade 18 Jahre alt. Sie hat sich auf die Suche nach Verwandten gemacht, doch keiner wollte ein Habenichts im Haus. Der Vermieter hatte als einzige Person Mitleid mit ihr und stundete ihr die Miete. Sie hat gemodelt, gekellnert und wenn gar nichts mehr ging geputzt. Ihr Studium hat sie sich so finanziert. Ihre Studienkollegen hatten wenig Verständnis, wie auch, sie hatte nie Zeit, um an Feten oder Veranstaltungen teilzunehmen. Im letzten Monat schrieb ein Notar, sie habe ein Haus geerbt in der Bretagne. Es war die Schwester der Mutter, sie hat nicht einmal gewusst, dass ihre Mutter eine Schwester hatte. Tränen stehen in ihren Augen.

Ich spüre Elaine lässt dieses Schicksal nicht kalt. „Jetzt hast du mir so viel erzählt aus deinem Leben mein Kind, aber wer dein Vater war, das weiß ich immer noch nicht.“ Nadine nickt tapfer. „Ich weiß, Madame, sie werden ihn sicher nicht kennen. Er hieß Gilbert Perrault.“

Elaine fasst sich mit beiden Händen an den Kopf. „Mein Gott, das ich da nicht von alleine drauf gekommen bin. Wer sonst als dieser total verrückte und bescheuerte Gilbert kann so etwas seinem Kind antun. Du musst wissen, dein Vater war das schwarze Schaf in der Familie. Wenn einer Mist gebaut hat, dann war es garantiert Gilbert. Weißt du was, wir bringen dein Leben jetzt auf Vordermann. Nicht wahr Jean? Wir haben selbst keine Kinder also kümmern wir uns um dich. Ich habe heute Geburtstag und damit fangen wir an.“

Nadine schaut etwas irritiert in die Runde. „Ich habe leider nichts anzuziehen. Was sollen die Leute denken?“ Elaine fragt neugierig. „Welche Leute? Zu meinem Geburtstag kommen nur Serge und du. Ich frage schon lange nicht mehr danach, was die Leute über mich denken oder schreiben. Für diese Lebenseinstellung habe ich allerdings auch ein paar Jährchen gebraucht. Jetzt habe ich nur noch ein Anliegen, die napoleonische Glasvitrine, dafür werde ich dir einen ordentlichen Preis bezahlen. Schließlich brauchst du für deine Zukunft eine gute finanzielle Basis.“

Nadine fragt. „Von welcher Glasvitrine reden wir hier eigentlich?“ Elaine nimmt Nadine an der Hand und flüstert zu mir. „Bleibe du hier, ich möchte mit ihr alleine reden.“

„Nein, ich gehe lieber zu Serge auf das Boot.“ „Ist gut, wir kommen später dort vorbei.“ „Später? Wann ist später?“ Diese Antwort bleibt sie mir schuldig.

Am Boot finde ich einen schnarchenden Serge vor, offenbar war der Wein doch zu viel für ihn. Meiner vorsichtigen Einschätzungen nach dürfte der Tag für ihn gelaufen sein. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Kaimauer und warte auf die Damen. Meine Befürchtung es könne eine lange Zeit vergehen, zeigt sich schon bald als unberechtigt. In voller Eintracht kommen die zwei Frauen die Straße entlang. Elaine hakt sich bei mir unter und meint bezüglich Serge.

„Der ist wie immer voll! Lassen wir ihn seinen Rausch ausschlafen. Wir werden jetzt unsere neuen Familienbande festigen. Ich hoffe, Jean, du hast dich endlich mit deinem Schicksal abgefunden.“

„Weißt du, hätte mir je etwas Besseres in meinem Leben passieren können als Madame Elaine Perrault?“

Elaine lacht. „Nein! Nicht wirklich und deshalb werden wir auch schon bald heiraten.“ Nadine fragt. „Ihr wollt wirklich heiraten?“ Elaine meint verschmitzt. „Wenn es gilt, dann gilt es, bevor mein Held wieder kalte Füße bekommt, mache ich dieses Mal den Sack zu.“
Nadine pflichtet dieser Entscheidung bei. „Ja, das stimmt, der Mann muss wissen, wer der Herr im Haus ist.“

Meine Antwort auf dieses Thema ist einfach. „Das schockt mich jetzt überhaupt nicht mehr, Mesdames. Ich erlaube mir zu bemerken, mein Entschluss steht fest mit Elaine zusammenzubleiben. Die Machosprüche werden übrigens gerne an der Garderobe entgegengenommen.“

Elaine küsst mich auf die Wange. „Monsieur haben vollkommen recht, wir wollen in unserer Hütte Frieden.“ Am Haus angekommen staunt Nadine nicht schlecht. „Diese Hütte ist ja ein Schloss!“ Elaine meint vergnügt. „Meine liebe Nadine, Madame Elaine Perrault liebt und wohnt standesgemäß.“


© Bernard Bonvivant

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